Das WORT zum Fußballsonntag

Reportage eines begeisterten PlayTogetherNow-Fans

Die letzten Pessimisten sind entängstigt 

PlayTogetherNow, dieser fußballspielende Vielvölkerstaat, demonstriert, wie unsere Gesellschaft aussehen könnte. Die emotionale Mechanik in diesem bunt-kulturellem Team spiegelt sogar eine ur-österreichische Geisthaltung wider – auch wenn das in Zeiten wie diesen absurd klingen mag.

Es läuft die 80. Spielminute. Omid Mansouri sprintet einem bereits verlorengeglaubten Ball hinterher, im Fallen schlenzt er das Leder ins lange Eck, schon wieder ein Traumtor. Das Team von PlayTogetherNow führt nun 6:2 gegen den Tabellennachbarn Panda. Die letzten Pessimisten an der Seitenlinie sind entängstigt.

Zehn Minuten später, nach dem Schlusspfiff, kennt die Freude der Akteure keine Grenzen – keine Landesgrenzen, keine emotionalen Grenzen. Sie nehmen einander in die Arme und bilden einen Kreis. Das Bild ist symbolträchtig: ein Schulterschluss der Kulturen, der Religionen, der Nationen, geflüchtete Iraker, Afghanen, Somalier, Sierra-Leoner, Iraner, Syrer, dazu ein paar Österreicher und ein Deutscher. Die letzten Pessimisten sind nicht nur entängstigt, sie sind euphorisiert. Nicht (nur) des Torspektakels, des fulminanten 6:3-Sieges wegen. Sondern weil dieses Team, dieser fußballspielende Vielvölkerstaat, im Mikrokosmischen demonstriert, wie die Makrostruktur, unsere Gesellschaft, aussehen könnte.

Dieses vielvölkische Team radiert die unsägliche Dichotomie zwischen Ost und West, zwischen Orient und Okzident aus. Bei den Akteuren von PlayTogetherNow geht es im Spiel hauptsächlich um eines: ständige (interkulturelle) Kompromisse zu finden, um die Stärken der Nebenspieler zur Geltung zu bringen und deren Schwächen charmant zu kaschieren. Daher hält der österreichische Spielmacher Gerhard Scheibenfrei den beiden Afghanen Kazem Ahmadi und Ali Rashidy den Rücken frei, damit die zwei Ballvirtuosen sich bis zum Strafraum vordribbeln können; daher wirft sich der afghanische Außenverteidiger Kamran Yaghoubi unerschrocken in den riskanten Zweikampf, um den Querschläger seines deutschen Liberos auszubügeln; daher legt der somalische Mittelfeldmotor Abdisalam Jama unzählige Meter zurück, um seinen irakischen und iranischen Nebenleuten Räume zu öffnen.

PlayTogetherNow besteht aus kulturell-heterogen Einzelteilen, deren Summe ergibt auf dem grünen Rasen einen bunt-harmonischen Chor, kompromisssuchend, aber kompromisslos in seiner Mission.

Es mag in angstgetriebenen Zeiten absurd klingen. Aber die emotionale Mechanik von PlayTogetherNow, der interkulturelle Kompromiss, entspricht eigentlich einer ur-österreichischen Geisteshaltung. Die Gene dieser Lebensart entstanden – natürlich – im Vielvölkerstaat. Die Österreicher/innen entwickelten in dem Mischmasch der Kulturen eine besondere Fähigkeit. Nämlich jene, Kompromisse zu schließen, um anschließend mit ihnen, den Kompromissen, ganz gut und gelassen zu leben. Das zeigt die Geschichte deutlich: Anderswo gab es Revolutionen, in Österreich hieß der Kompromiss „aufgeklärter Absolutismus“, also von beiden Seiten ein bisschen etwas. Anderswo spezialisierte man sich auf Kriegsführung, Österreich bestach durch den Kompromiss einer eindrucksvollen Heiratspolitik.

Die gelebte Gelassenheit ist heute noch spürbar, sie spiegelt sich wider in Floskeln, mit denen viele Leute ihren Alltag meistern: „Das wird sich schon irgendwie lösen“, sagen sie. Oder: „Schau‘ ma mal.“ Und wenn es wirklich mal brenzlig wird, dann gibt es noch ein liebenswertes Instrument: die Selbstironie. Verbürgt ist dazu ausgerechnet ein Fußball-Zitat. Ein österreichischer Nationaltrainer sagte vor dem Spiel gegen Deutschland: „Wir haben heute unsere Stärken trainiert. Deshalb waren wir schon nach 15 Minuten fertig.“

Es mag in Zeiten wie diesen absurd klingen, aber sich hinterm Ofen zu verstecken und angsterfüllt gegen imaginierte Gefahren zu hetzen, gegen die „Fremden“, gegen das „Andere“, das entspricht nicht dem genetischen Code dieses Landes. Der würde nämlich – wenn man an die vielvölkische Vergangenheit zurückdenkt – das Fremde in sich vereinen und es freudvoll zu etwas Eigenen machen. Das österreichische Wesen ist ein Treffpunkt der Kulturen, trägt in sich die deutsche Gründlichkeit, eine slawische Seele, die ungarische, böhmische, italienische Lebensart. Das versinnbildlicht besonders die österreichischen Kulinarik. Die Österreicher/innen waren seit jeher Meister darin, die verschiedenen Kulturen auf dem Teller zu vereinen und in die „heimische“ Speisekarte zu integrieren. Nur so konnte es passieren, dass die Verbindung einer chinesischen Frucht (Marille) mit einer Pflanze aus dem indischen Ozean (Zucker) und einer böhmischen Zubereitungsidee (Knödel) zum Inbegriff der niederösterreichischen Wachau wurde: der Marillenknödel. Nur so konnte es passieren, dass der Käsekrainer in der Wiener Wurstbude landet, wo er zu später Stunde geradezu zelebrierend verzehrt wird. Die Rezeptur des Wurstbräts kommt aus der slowenischen Region Krain. Die Südösterreicher/innen haben den slowenischen Wurstklassiker um 1950 nur neu interpretiert, haben ihn mit Käsestückchen gefüllt, die beim Braten schmelzen.

Was ist nun die Gefahr, weswegen sie hinterm Ofen hocken? Der Untergang des christlichen Abendlandes? Auf dem alten Kontinent sind kulturelle und religiöse Vielfalt nun mal gelebte Realität, erfreulicherweise. Das Abendland geht deswegen nicht unter, es wird dadurch nur spannender.

Oder haben die Leute Angst, dass das Christliche aus dem Abendland verschwindet? Da stellt sich die Frage, was die größere Gefahr ist: die acht Prozent Moslems, von denen viele den europäischen Wertekanon akzeptieren und leben? Oder jene Gruppe, die am rasantesten wuchs in den vergangenen Jahren und deren Anteil bereits 17 Prozent ausmacht: die „eigenen“ Atheisten?

Oder haben die hinter dem Ofen Hockenden gar Angst, dass der bereits sattgefressenen Gesellschaft der Bauchspeck abfällt? Würde man unserer (materiell) hochentwickelte Gesellschaft einen Materialism-Mass-Index anlegen, gäbe es wohl eine Diagnose: Platzen vor Übermaß. Das Finanzvermögen in Österreich macht 646 Milliarden Euro aus. Das ist so viel wie noch nie zuvor. Der hochentwickelte Okzident weigert sich bloß seit drei Dekaden beharrlich, seinen Bauchspeck ordentlich zu verteilen.

Diese Gemengelage aus irrationaler Angst und Raffgier führt zu einem unfairen Paradoxon: Die Ballvirtuosen von PlayTogetherNow werden stigmatisiert mit unwürdigen Begriffen wie Asylwerber oder Asylberechtige. Obwohl sie unserer Gesellschaft vielleicht mehr geben als unsere Gesellschaft ihnen gibt. Denn der kickende Vielvölkerstaat führt uns zurück zu unseren vielvölkischen Genen, führt uns die bunte Vielfalt der Welt vor Augen, mit derer sogar der braune österreichische Herbst zu besiegen ist. Und nebenbei solennisieren sie am grünen Rasen ein Fußballfestival. Wie am vergangenen Sonntag gegen Panda. Es war ein geplantes, kein zufälliges, Spektakel, Fußballästhetik gepaart mit ausgeklügelter Taktik. Sie, die Iraker, Iraner, Syrer, Afghanen, Österreicher, Deutschen, Sierra-Leoner und Somalier ließen den Ball gekonnt durch ihre Reihen zirkulieren, zogen ein schnelles Kurzpassspiel auf, ein hochversiertes Tiki-Taka. Sie spielten spanisch. Seht her, sogar iberische Lebenslust bringen sie mit! Das fehlt uns doch eh so bitterlich in diesem Lande: Siesta, Flamenco, Marisco.

„Entängstigt euch!“, rief der österreichische Theologe Paul Zulehner den Pessimisten, den Ängstlichen zu. Er hätte seinem Appell eine einfache Anleitung hinzufügen können: „Entängstigt euch! Geht am Wochenende zum Spiel von PlayTogetherNow.“

Wir bedanken uns aus unserem tiefsten Fußballherzen für den schönsten Fußballbericht, der je über uns geschrieben worden ist! <3 Merci! <3